Im Alltag gibt es häufig Situationen, in denen die Angehörigen schlicht fassungslos sind. Wenn der demenzkranke Vater wegläuft oder verrückte Dinge macht. Vielfach hilft da ein Wechsel der Perspektive, den Humor darf man nicht verlieren, und man muss sich Hilfe holen. Die Fachärztin für Innere Medizin und Altersheilkunde Dr. Ann-Kathrin Meyer sowie die beiden Einrichtungsleiter Diaz Liedicke und Susanne Lorenz beantworten die häufigsten Fragen:
Inhaltsverzeichnis
- Brauche ich auch ohne Demenz einen Pflegedienst?
- Wie diagnostizieren Sie eine Demenz?
- Ist Demenz vererbbar?
- Wird den Bewohnern im Heim im Rahmen der Demenz-Betreuung möglichst viel abgenommen?
- Warum ist die Biografiearbeit in der Altenpflege so wichtig?
- Schwierige Situationen: Wie soll ich mich verhalten?
- Übergriffigkeit und Demenz: Was kann ich dagegen tun?
- Wie bringe ich meine Mutter dazu, dass sie sich abends auszieht?
- Meine Frau ist mal himmelhoch jauchzend und mal zu Tode betrübt. Ist das normal?
- Meine Mutter (83) will sich kein Heim ansehen.
- Ist das alles, was einem Menschen im Alter noch bleibt?
- Heute Nacht bin ich sogar laut geworden
- Aber sie will nicht ins Heim
- Mal redet sie völlig normal, dann wieder dummes Zeug
- Überlagern sich die Krankheitsbilder?
- Hilfestelle
Brauche ich auch ohne Demenz einen Pflegedienst?
Mein Vater (85) ist “tüdelig”: Der Kühlschrank ist leer. Beim Anziehen unterscheidet er nicht mehr zwischen sauberer und schmutziger Wäsche.
Dr. Ann-Kathrin Meyer: Ihr Vater ist offenbar nicht mehr in der Lage, sein Leben selbst in die Hand zu nehmen. Holen Sie sich Hilfe, denn auf Dauer werden Sie es allein nicht schaffen
Wie diagnostizieren Sie eine Demenz?
Dr. Meyer: Die meisten Patienten kommen nicht freiwillig zu uns, sondern erst, wenn sie von ihren Angehörigen gebracht werden. Zur Untersuchung gehören ein Ultraschall, um Ablagerungen in den Hirnarterien feststellen zu können, sowie ein EKG zur Überprüfung von Herzrhythmusstörungen. Auch eine Bestimmung der Blutwerte ist wichtig. Und zur Abbildung des Gehirns ist eine Röntgenschichtaufnahme nötig. Dazu kommen neuropsychologische Tests, um Gedächtnis, Handlungsplanung und das Neulernen standardisiert abzuprüfen.
Ist Demenz vererbbar?
Dr. Meyer: Es besteht nur ein geringes Risiko der Vererbung von Alzheimer, sodass sich Verwandte von Alzheimer-Pati- enten nicht unnötig sorgen sollten. Das Auftreten der Erkrankung hängt hauptsächlich vom Lebensalter ab. Die Hirnleistung lässt nach, genauso wie wir Falten und graue Haare bekommen. Bis zu 5 Prozent der 65-Jährigen, 20 bis 25 Prozent der über 80-Jährigen und etwa ein Drittel der über 90-Jährigen haben demenzielle Erscheinungen. Es gibt jedoch eine Vererbbarkeit der Risikofaktoren – nämlich Bluthochdruck und Diabetes. Blutdruck, Blutzucker und Blutfette, wenn Sie das im Griff haben, dann ist es gut.
Wird den Bewohnern im Heim im Rahmen der Demenz-Betreuung möglichst viel abgenommen?
Diaz Liedicke: Nein, im Gegenteil. Es wird ihnen möglichst wenig abgenommen. Unser Haus hat einen Reha-Ansatz: Wir geben Anleitungen, das fördert die Selbstständigkeit, und unsere Bewohner haben Erfolgserlebnisse.
Warum ist die Biografiearbeit in der Altenpflege so wichtig?
Liedicke: Ich gebe Ihnen mal ein Beispiel: Einer unserer Bewohner legte sich immer unter die elektrischen Pflegebetten. Wir hatten das zunächst nicht verstanden. Erst als wir herausfanden, dass er früher ein leidenschaftlicher Hobby-Kfz-Mechaniker war, erklärte sich sein Verhalten. Das ist Biografiearbeit .
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Zuhause wohnen bleiben.
Schwierige Situationen: Wie soll ich mich verhalten?
Meine Mutter lebt in einem Zweibettzimmer und passt gut auf ihre Sachen auf. Aber wenn Sie mit ihrem Wagen im Haus unterwegs ist und auf “Shopping-Tour” geht, kommt sie mit Dingen zurück, die ihr nicht gehören.
Dr. Meyer: Das Verhalten ist aus biografischer Sicht verständlich. Die Zeit um den Krieg war von Armut gezeichnet. Dieses Trauma sitzt bei vielen tief. Ihre Mutter hat wahrscheinlich den Wunsch, sich zu versorgen, so lange etwas da ist.
Übergriffigkeit und Demenz: Was kann ich dagegen tun?
Eine Bekannte von mir lebt im Heim. Ihre Kleidung wird auch von den Mitbewohnern getragen.
Liedicke: Altersverwirrte Menschen können ihre Kleidung nicht mehr als die eigene erkennen. Deshalb ziehen sie das an, was ihnen gefällt. Ein gutes Heim begrenzt seine Bewohner nicht bei der Auswahl der Kleidung.
Wie bringe ich meine Mutter dazu, dass sie sich abends auszieht?
Dr. Meyer: Im Zweifelsfall gar nicht. Wenn sie angezogen schlafen möchte, ist das in Ordnung. Ein Problem wäre es, wenn Ihre Mutter im Sommerkleid in die Kälte nach draußen ginge.
Meine Frau ist mal himmelhoch jauchzend und mal zu Tode betrübt. Ist das normal?
Dr. Meyer: Demenz-Kranke haben ihre Stimmungsschwankungen nicht mehr unter Kontrolle, die Emotionen können nicht mehr gesteuert werden. Freude, Traurigkeit oder Aggression kommen relativ ungebremst aus ihnen heraus. Dadurch erscheint Ihnen das Weinen dramatischer, als es eigentlich ist.
Meine Mutter (83) will sich kein Heim ansehen.
Muss ich jetzt darauf warten, bis etwas Schlimmes passiert, oder gibt es einen Trick?
Dr. Meyer: Das mit dem Trick funktioniert in der Regel nicht. Oft ist mit Verstand und Vernunft nichts zu erreichen. Es muss erst etwas Einschneidendes passieren. In diesem Fall haben Sie aber die Möglichkeit, ein Verfahren beim Betreuungsgericht zu beantragen.
Ist das alles, was einem Menschen im Alter noch bleibt?
Meine altersverwirrte Nachbarin lebt jetzt in einem Altenheim, in dem es morgens und nachmittags zwar jeweils zwei Stunden Betreuung gibt. Ansonsten ist sie aber auf sich gestellt, und ihr bleibt nur der Gang in einem kleinen Hühnerhof.
Dr. Meyer: Es gibt unterschiedliche Häuser. Jeder, der mit seinen Angehörigen sorgsam umgeht, sollte sich mehrere Heime ansehen. Dabei würde der kleine Hühnerhof auffallen. Man sollte eine Einrichtung wählen, in der man sich selbst auch wohlfühlen würde.
Heute Nacht bin ich sogar laut geworden
Mein Mann verliert sein Zeitgefühl. Fast jede Nacht weckt er mich. Deshalb bin ich müde und habe Kopfschmerzen.
Lorenz: Auch Ihre Belastbarkeit hat Grenzen. Wann diese Grenze erreicht ist, müssen Sie entscheiden. Gönnen Sie sich eine Verschnaufpause und fahren Sie ein paar Tage in den Urlaub. Schlagen Sie bitte Angebote von außen nicht von vornherein aus, wie zum Beispiel die Kurzzeitpflege.
Aber sie will nicht ins Heim
Meine Mutter leidet unter vaskulärer Demenz. Sie ist in ihrer Wohnung mehrfach gestürzt.
Dr. Meyer: Auch im Heim stürzen die Bewohner. Wichtig ist, dass Ihre Mutter gründlich untersucht wird, um die Ursachen für die Stürze zu finden. Dann haben Sie wirklich alles getan.
Mal redet sie völlig normal, dann wieder dummes Zeug
Meine Freundin lebt auf einer Pflegestation. Mal redet sie völlig normal, dann wieder dummes Zeug. Was soll ich davon halten?
Dr. Meyer: Bei dieser Erkrankung gibt es erhebliche Schwankungen der Hirnleistung. Nutzen Sie die Zeit, in der es Ihrer Freundin gut geht, zum Gespräch.
Überlagern sich die Krankheitsbilder?
Dr. Meyer: Ja, eine gute Diagnostik ist wichtig. Depressionen, Parkinson, Alzheimer und Hirntumore haben häufig demenzielle Erscheinungen zur Folge, müssen aber unterschiedlich behandelt werden.
Hilfestelle
Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V.
Selbsthilfe Demenz Alzheimer-Telefon’030/259 37 95 14
Der vorliegende Text stammt aus dem Ratgeber “Der Pflegekompass” von Jochen Mertens e.K., erstmals erschienen 2021 bei der Funke Mediengruppe.
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