Mit dem neuen Standard Matter soll sich das Smart Home in Zukunft einfacher und vor allem einheitlicher vernetzen lassen. Aktuell sieht es in einem smarten zuhause oft noch so wie folgt aus. Die Lampen werden mittels ZigBee gesteuert, die Heizung nutzt irgendein Hersteller-eigenes System, die Überwachungskamera „spricht“ WLAN. Und dann gibt es noch ein paar Steckdosen, die mittels DECT geschaltet werden können. Und es gibt ja auch noch weitere „Standards“ wie zum Beispiel Z-Wave, KNX oder EnOcean gibt.
All diesen sogenannten Standards ist gemein, dass sie aus einem Zusammenschluss einiger oder auch vieler Hersteller entsprungen sind in dem Versuch, Einheitlichkeit zu schaffen. Allerdings sind nicht wenige dieser Hersteller dann auch gleich auf mehrere Züge aufgesprungen, sodass von Einheitlichkeit bislang wenig zu merken ist. Nun setzt die Smart-Home-Welt große Hoffnungen in Matter, einen neuen Standard, mit dem endlich alles besser werden soll. Was dahinter steckt, verrät IMTEST in diesem Ratgeber. Zusätzlich war der Vizepräsident des Produktmarketings von Netatmo, Florian Deleuil, so freundlich IMTEST ein paar bohrende Fragen zu beantworten. Das Interview finden Sie am Ende dieses Artikels.
- Update vom 4. November 2022: Matter nimmt konkrete Formen an
- Matter mit spezieller Übertragungsform
- Wie funktioniert die Übertragung im Smart Home?
- Ein Smart-Home-Standard, der alle vereint
- Matter mit vielfältiger Kommunikation
- Potenzial des einheitlichen Smart-Home-Standard groß
- Auf Matter warten?
- Interview mit Florian Deleuil, VP Produktmanagement bei Netatmo
Matter: Netatmo sorgt für Interoperabilität im Smart Home
Netatmo möchte für ein deutlich zugänglicheres Smart-Home-Erlebnis sorgen.
Update vom 4. November 2022: Matter nimmt konkrete Formen an
Matter ist nun offiziell mit einem Launch-Event der Connectivity Standards Alliance (CSA) gestartet. Zahlreiche Hersteller sind mit an Bord – zumindest irgendwie. Laut CSA gibt es momentan bei Geräten rund 190 Zertifizierungen in acht Kategorien. Ganz vorne mit dabei ist Philips Hue, aber auch Amazon, Ikea und viele weitere Anbieter von Smarthome-Lösungen stehen in den Startlöchern. Ein Großteil der Zertifizierungen entfällt auf Tuya, deren smarte Produkte oft unter vielen anderen Markennamen erhältlich sind. Allerdings bedeutet zertifiziert nicht automatisch, dass auch schon Produkte erhältlich sind. Zwar lassen sich viele Geräte per Update Matter-fähig machen, aber die Akutalisierungen kommen vielfach erst nach und nach. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Hersteller keineswegs vom Anfang an alle ihre Geräte für Matter tauglich abliefern müssen. Auch muss hier keine vollumfängliche Einbindung in Matter erfolgen; Amazons neuere Echos mit ZigBee-Hub werden wohl zunächst nur mit Matter über WLAN arbeiten und Thread noch nicht unterstützen. Zudem ist für den Verbraucher aktuell auch noch nicht so richtig transparent, wie etwa das Multi-Admin-Konzept in der Praxis funktionieren wird. In der Theorie geht es darum, über verschiedene Smarthome-Plattformen jeweils beliebige Matter-Geräte steuern zu können. In jedem Fall wird es in den kommenden Monaten mehr und mehr Produkte im Handel geben, die das Matter-Logo tragen.
Matter mit spezieller Übertragungsform
Die grundsätzliche Smart-Home-Problematik besteht darin, dass viele Komponenten klein, unauffällig und da nutzbar sein sollen und müssen, wo es keine Stromversorgung gibt. Das gilt zum Beispiel für Heizkörperthermostate oder Fenster-Sensoren. Hier ist wenig Platz für opulente Akkus, sodass die gesamte Technik energetisch optimiert sein muss. Darum kommt WLAN relativ selten zum Einsatz, obwohl das durchaus naheliegend wäre. Zudem war es bei WLAN lange nicht möglich, dass jedes Gerät auch gleichzeitig als Reichweitenverstärker funktioniert hat, weshalb für Smart Home andere Systeme auf den Weg gebracht wurden.
Auch Matter nutzt ein spezielles Übertragungsverfahren (Protokoll) namens Thread. Genauer gesagt, ist Matter genau dafür auf den Weg gebracht worden, um zu standardisieren, was genau auf diesem Protokoll passiert.
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Wie funktioniert die Übertragung im Smart Home?
Man kann sich die Übertragungsproblematik, die Matter im Smart Home lösen soll, am Beispiel einer Straßenbahn erklären. Die bringt auf einem festgelegten Weg Menschen von A nach B. Dabei ist die Schiene der Transportweg, die Bahn selbst die Transportverpackung. Das ist in etwa das, was Thread macht. Allerdings muss es auch in der Bahn noch Regeln geben, wie es in ihrem Inneren zuzugehen hat. Beginnend damit, dass jeder Fahrgast ein gültiges Ticket braucht und zum Beispiel mitgenommene Fahrräder an einer bestimmten Stelle abgestellt werden müssen. Das wiederum soll dann Matter regeln, damit – um beim Beispiel zu bleiben – die Straßenbahn in Köln genauso zu benutzen ist wie in Bochum oder Hannover. Wie gut diese Interoperabilität am Ende funktioniert, wird die Zeit zeigen.
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Ein Smart-Home-Standard, der alle vereint
Immerhin haben sich Amazon, Google und Apple gemeinsam dem Projekt verschrieben, neben zahlreichen bedeutenden Herstellern von smarten Geräten. Und so wie es aussieht, meinen sie es auch ernst: Apple öffnet seine Homekit-Entwicklungsumgebung für den Open Source-Standard Matter. Dabei ist die volle Integration vorgesehen, was auch deshalb vergleichsweise einfach ist, weil auch Apples HomeKit Accessory Protocol auf Thread aufsetzt. Aber auch bei Google und Amazon sind einige schon verfügbare Geräte – Smartspeaker oder Mesh-Kits – spätestens nach einem Firmware-Update in der Lage über den neuen Standard zu kommunizieren. Das ist weniger kompliziert, als es klingt, denn für Matter können theoretisch dieselben Chips genutzt werden wie für ZigBee.
Matter mit vielfältiger Kommunikation
So weit, so gut, aber Matter ist für das Smart Home nicht nur auf diesen Kommunikationsweg festgelegt. Eine weitere wichtige Komponente ist Bluetooth Lo Energy. Und auch WiFi6 (802.11ax) kann als Transportweg für Informationen genutzt werden. Denn mit dem jüngsten WLAN-Standard hat die Funktion Target Wakeup Time (TWT) Einzug gehalten, die dafür sorgt, dass das Funknetz nur bei Bedarf aktiv ist und so sehr wenig Energie verbraucht. Dieses Feature ist vor allem im Hinblick auf Smart-Home- und IoT-Geräte (IoT=Internet der Dinge, u.a. für die Industrie relevant) implementiert worden. Deshalb ergibt es absolut Sinn, dass Matter auch auf diesem Übertragungsweg stattfindet. Zumal das den Markt der Möglichkeiten recht unkompliziert erweitert.
Potenzial des einheitlichen Smart-Home-Standard groß
Für Matter spricht aber nicht nur die Interoperabilität. Das Konzept bietet auch noch weitere Vorteile. Unter anderem die sogenannte „seamless integration“. Auf gut Deutsch soll damit das Einbinden neuer Komponenten im Smart Home sehr unkompliziert gelingen. Das Anlegen von verschiedenen Accounts für verschiedene Geräte und Hersteller etwa würde dann wegfallen. Auch arbeiten Geräte mit dem neuen Standard nicht mit nur einem Zugangspunkt, wie man das vielleicht von ZigBee-Systemen kennt, für die ja eine zentrale Bridge benötigt wird, damit etwa das Smartphone mit einer Lampe kommunizieren kann.
Bei Matter nennen sich diese Übergangsstellen zum Internet Border-Router. Und von denen kann es mehrere geben. Die dienen gleichzeitig auch als Mesh-Repeater. Denn die neue Übertragungsform ist so angelegt, dass sich das Netzwerk selber organisiert (Mesh) und damit immer optimal verfügbar und erreichbar sein kann. Tatsächlich gibt es also viele Gründe, die sowohl für Matter als Konzept sprechen als auch dessen nachhaltige Umsetzung realistisch erscheinen lassen.
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Auf Matter warten?
Bleibt die Frage, ob man nun bei der Planung seines smarten Zuhauses auf die breite Verfügbarkeit von Geräten mit diesem neuen Standard warten soll. Die Antwort darauf ist nicht so einfach. Denn eigentlich ist Matter noch gar nicht richtig gestartet. Die offizielle Entwicklungsumgebung sollte den beteiligten Firmen eigentlich bereits Ende 2021 zur Verfügung stehen. Die verantwortliche Connectivity Standards Alliance (ehemals ZigBee Alliance) hat den Termin allerdings auf das erste Halbjahr dieses Jahres verschoben. Zwar hat Netatmo dieser Tage einen Sicherheitssensor als ihr erstes Matter-Produkt angekündigt, aber realistisch betrachtet ist frühestens im zweiten Halbjahr mit dem Erscheinen einer nennenswerten Anzahl an Geräten zu rechnen. Wobei auch hier abzuwarten bleibt, wie weit die aktuelle Chip-Krise auf die Produktion Einfluss nehmen wird.
Wer also direkt mit Matter ins Smart Home starten will, wird noch Geduld brauchen. Allerdings muss, wer jetzt noch auf Z-Wave oder ZigBee setzen möchte, später auch nicht auf den neuen Standard verzichten. Einige Hersteller wie zum Beispiel Philips (hue) haben bereits Bridge-Lösungen beziehungsweise Updates für schon vorhandene Bridges in Aussicht gestellt. Mit denen lassen sich dann bestehende Systeme in die zukünftigen Umgebungen integrieren.
Interview mit Florian Deleuil, VP Produktmanagement bei Netatmo
IMTEST: Im Moment ist Matter das große Thema in Sachen Smarthome. Letztlich stehen dahinter aber viele der Unternehmen, die sich auch schon für ZigBee oder Z-Wave stark gemacht haben. Beides ist verbreitet, aber nicht der ultimative Standard. Was garantiert, dass es bei Matter anders läuft? Apple beispielsweise nutzt zwar Thread, aber bislang mit eigenem Applikationslayer.
Florian Deleuil: In den letzten zehn Jahren ist der Smart-Home-Markt erheblich gewachsen. Solange man sich aber fragen muss, ob das Produkt, das man kaufen möchte, mit der vorhandenen Installation kompatibel ist, werden viele Konsument:innen zurückhaltend sein, in Smart-Home-Produkte zu investieren.
Aus diesem Grund verfolgen wir bei Netatmo von Beginn an den Ansatz, dass unsere Produkte mit den Sprachassistenten von Google, Amazon und Apple kompatibel sein sollen. Diese breite Kompatibilität hindert uns nicht daran, unsere eigenen Anwendungsmöglichkeiten zu entwickeln.
Im Bezug auf Matter gibt mehrere Gründe optimistisch zu sein, dass es zum ultimativen Standard wird. Mehr als 220 Unternehmen arbeiten seit 2019 an dem Matter-Protokoll, darunter GAFAs und mehrere große Player aus der Unterhaltungs- und Haushaltselektronik. Auch wenn Matter wie eine gemeinsame Sprache funktioniert, in der Smart-Home-Objekte über Thread, Ethernet oder Wi-Fi miteinander kommunizieren, hindert es die einzelnen Akteure nicht daran, eigene Lösungen vorzuschlagen.
IMTEST: Ergänzende Frage: Matter ist ja eigentlich ein Open-Source-Projekt. Wie wird man bei Netatmo damit umgehen?
Florian Deleuil: Hersteller können über gemeinsame Arbeitsgruppen zur Bereicherung des Protokolls beitragen, was die Connectivity Standards Alliance (CSA) äußerst dynamisch macht.
Das Matter ein Open-Source-Projekt ist, gewährleistet also die Skalierbarkeit und vereinfacht es allen Smart-Home-Akteuren das Protokoll zu übernehmen. Best Practices können einfacher in einem großen Teil des Marktes vereinheitlicht werden.
Diese Bündelung von Ressourcen hindert die einzelnen beteiligten Marken jedoch nicht daran, innovativ zu sein. Für Netatmo bleiben Produktsicherheit, Datenschutz und erweiterte Funktionen das A und O.
IMTEST: Matter kann in Verbindung mit Thread als lokales Mesh betrachtet werden. Betrifft diese Selbstorganisation auch Smarthome-Routinen? Immerhin wären ja gemäß Konzeption zum Beispiel ein Echo und ein Nest Hub parallel als Border-Router nutzbar.
Florian Deleuil: Ja, Thread bietet Mesh-Technologie für lokale Smart-Home-Netzwerke. Matter bietet die richtige Grammatik und kann das richtige Maß an Sicherheit für alle Geräte, die in diesem lokalen Netz miteinander kommunizieren, gewährleisten.
Folglich kann jedes Produkt im lokalen Matter-Netzwerk (das in der Matter-Sprache Fabric genannt wird), welches in der Lage ist, Routinen auszulösen, mit allen anderen Produkten im selben Netzwerk interagieren – ganz unabhängig von der Marke.
Ein Border-Router hat die Aufgabe, stark voneinander getrennte Netzwerke miteinander zu verbinden und übernimmt damit eine Übersetzungsfunktion zwischen den beiden Welten von Thread und Wi-Fi / Ethernet. Diese Rolle kann nun von mehreren Produkten geteilt werden, wenn sie im selben Matter-Netzwerk in Betrieb genommen werden.
IMTEST: Derzeit baut Thread auf denselben 2,4 Ghz-Kanälen auf, die auch ZigBee verwendet. Grundsätzlich ist aber Matter auch darauf ausgerichtet, mit WiFi 6 zu arbeiten. Immerhin ist ja der 802.11ax-Standard mit solchen Funktionen wie Target Time Wakeup speziell auch für IoT entwickelt worden. Wie ist denn hier der Stand der Dinge?
Florian Deleuil: Matter basiert auf den (gut) bewährten Technologien Wi-Fi, Thread und BLE. Das passt zu den aktuellen Bedürfnissen von Smart Home (für Produkte mit Batterie oder für kabelgebundene Produkte). Zum jetzigen Zeitpunkt ist Netatmo die Integration von Wi-Fi 6 und “Time Wake Up”-Funktionen nicht bekannt, auch wenn die CSA daran arbeiten sollte.
IMTEST: Netatmo fährt aktuell mehrgleisig. WLAN, 868 MHz mit Bridge und jetzt auch Matter. Kann und will man hier auch langfristig Interoperabilität gewährleisten oder wird der Kunde sich irgendwann festlegen müssen? Im Sinne der Nachhaltigkeit spräche ja ansonsten wenig dagegen, die bisherigen Heizkörperthermostate auch noch in zehn Jahren zu verwenden.
Florian Deleuil: Es war von Anfang an unser Ziel, unsere Geräte für die wichtigsten Sprachassistenten des Marktes kompatibel zu gestalten. Wir sind davon überzeugt, dass diese Produkte, lokale Interaktionen, Sicherheit und Automatisierungen der Schlüssel für den Smart-Home-Markt sind. Matter erfüllt alle diese Anforderungen. Unsere Produkte sind bereits interoperabel. Matter wird uns jetzt mehr Möglichkeiten geben und es leichter machen, um Kompatibilität mit immer mehr Ökosystemen herzustellen. Das ist eine sehr gute Weiterführung und Bestätigung unserer grundlegenden Strategie.
Zudem ist das Matter-Protokoll so konzipiert, dass es auch mit bisherigen Produkten kompatibel ist: Wenn einige von ihnen (wie in unserem Fall) andere Funktechnologien haben, ist es immer möglich, auf Matter zu migrieren. Dies gelingt, indem man das Gateway als Brücke zwischen der Matter-Welt (IP) und anderen herstellergebundenen lokalen Funkprotokollen verwendet.
IMTEST: Vielen Dank für das Gespräch!