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Darum ist das Laufen nach Gefühl so wertvoll

Warum laufen wir? Warum laufen so viele Menschen? Die Motivationsgründe sind divers, und leider gibt es immer mehr Läufer, die die Challenge mit anderen brauchen. Unser Kolumnist warnt: Lassen Sie sich da nicht reinziehen. Laufen Sie nach dem eigenen Gefühl.

Person läuft in der Natur.
© Freepik

Es gibt merkwürdige Formeln für das gesunde Laufen. Oft ist mir diese begegnet: Der ideale Pulsbereich wird so ermittelt, 180 minus Lebensalter. Wäre bei einem 50-jährigen Menschen also 130. Ehrlich? Wenn ich diese Formel anwenden würde, wäre ich komplett unterfordert. Vor 12 Jahren hätte mich diese Pulsfrequenz umgebracht, weil ich aus dem Schnaufen nicht mehr herausgekommen wäre. Diese und andere Formeln sind eventuell ein Anhaltspunkt, jedoch ohne zu wissen welchen Menschen man vor sich hat, wie sein Trainingszustand ist, wie sein körperlicher Zustand, sind solche Orientierungen sogar gefährlich. Will man wirklich für sich persönlich sicher sein, führt der direkte Weg nur zu einem Sportmediziner. Das muss aber nicht sein, denn worauf wir uns eigentlich sehr gut verlassen können, ist unser Gefühl. Und selbstverständlich tut es gut, den Kopf einzuschalten. Leider haben wir beides ein wenig verlernt.



Ich lerne von meiner Tochter

Woran aber liegt es, dass wir oft so wenig gutes Gefühl für uns selbst haben? Oft sind wir gestresst, haben wenig Energie in uns selbst hineinzuhören. Wenn wir ehrlich miteinander sind, ist es natürlich einfacher auf Pulsuhren und andere Helfer zu hören. Oder aber auf den ein oder anderen Experten, der in den Medien sein Wissen unter die Leute bringt. An jeder Ecke gibt es inzwischen dieses Expertenwissen, das kostenfrei im Netz zu bekommen ist. Das alles ist verführerisch, lässt uns aber abstumpfen. Meine Tochter wird im September zwei Jahre alt. Gestern saß ich auf der Bank und sie rannte einen Weg hoch und runter. Immer wieder. Dann stoppte sie plötzlich und sagte: „Anstrengend. Pause.“ Sie setzte sich neben mich auf die Bank und ihr kleines Herz pochte schnell.

Wir saßen zwei Minuten und quatschten, und sie lief wieder los. Sie handelte also nach Instinkt, nach Gefühl. Und so ging das fast eine Stunde lang. Erst hinterher stellte ich fest, wie lange sie so ihren Bewegungsdrang gut im Griff hatte. Dieser Moment hat mich nachhaltig beeindruckt. Vor allen Dingen, weil ich kurz vorher von einem Experten gelesen hatte, dass 60 Minuten laufen deutlich besser als 20 Minuten seien. Und auch diese Aussage machte mich wirklich wütend. Wie kann man als Sport- und Laufexperte solche Behauptungen von sich geben. Was ist zum Beispiel mit Menschen, die gerade erst den inneren Schweinehund bekämpfen, und sich auf die Laufstrecke begeben haben? Was ist mit Menschen, die stark übergewichtig sind, und für die 60 Minuten gar nicht darstellbar sind? Ist es nicht viel wichtiger, gerade die Laufanfänger zu motivieren?

Unser Kolumnist empfiehlt, stärker auf den eigenen Körper zu hören und nicht nur auf Smartwatch oder Fitnesstracker. © Pexels / Ketut Subiyanto

330 Euro für einen Laufschuh? Komisches Gefühl

Augenscheinlich haben wir auch ein wenig das Gefühl für das richtige Maß verloren. Nicht nur, dass das Laufen inzwischen zu einer Art Wettkampf der Hobbyathleten geworden ist, anstatt dass sich Menschen einfach nur gesund laufen, auch die Relation stimmt nicht mehr so ganz. Ich habe mir letzte Woche sehr genau einmal die neuen Laufschuhmodelle diverser Hersteller angesehen. Nicht nur, dass man inzwischen kaum noch wirklich versteht, was in den Schuhen steckt und verarbeitet wurde, es werden Preise aufgerufen, die in mir ein merkwürdiges Gefühl entstehen lassen. Ich finde es völlig legitim, dass Hersteller Geld verdienen wollen. Und ja, ich bin fest davon überzeugt, dass gutes Material wichtig ist, um gut und erfolgreich sportlich unterwegs zu sein. Warum ein Laufschuh aber über 300 Euro kosten muss das erschließt sich mir nicht. Viele Hersteller werben damit, dass man mit ihren Schuhen laufen kann wie die Profis. Dass es mit ihren Modellen beinahe für jedermann möglich ist, einen Marathon zu laufen. Für mich stellt sich die Frage: Müssen wir das überhaupt? Sind wir alle dazu überhaupt gemacht? Und tun es dafür nicht auch Laufschuhe für die Hälfte des Geldes. Natürlich reicht das aus, kann ich aus eigener Erfahrung sagen.

Wieder mehr genießen

Gerne würde ich viele Menschen dazu animieren, wieder auf sich zu hören. Wer schnell mit voller Power 20 Minuten laufen will, soll das gerne tun. Um dann vielleicht laut zu sich zu sagen: „Anstrengend. Pause.“, um dann eventuell weiterzulaufen. Wer langsam 60 Minuten oder mehr laufen will, in einem Tempo in dem er sich noch gut unterhalten kann, mag das genau so tun. Und wenn der Puls dabei ganz weit unten ist, dann ist das nichts Schlechtes. Wir müssen wieder weg von der These kommen, dass man nur etwas für sich getan hat, wenn man fix und fertig ist. Jeder Schritt, den wir mehr gehen, ist ein Schritt hin zu einer besseren Gesundheit. Das gilt natürlich auch für alle, die unbedingt einen Marathon in teuren Schuhen laufen wollen. Wenn ihnen das ein gutes Gefühl gibt, dann soll das genau so sein!

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Porträt des IMTEST-Lauf-Experten Mike Kleiß

Mike Kleiß ist leidenschaftlicher Läufer, besonders Ultra-Marathons haben es ihm angetan. Er ist Experte für Fitness, Gesundheit, Ernährung und Mental Health. Täglich ist er mit seinen Hunden in der Natur, er ist Gründer und CEO der Kommunikationsagentur GOODWILLRUN, und erfolgreicher Podcaster. Zusammen mit IMTEST-Chefredakteur Axel Telzerow ist er Host des beliebten Podcasts „Echte Vaddis“, bei IMTEST.de schreibt er jede Woche seine Kolumne „Gesünder Leben – endlich richtig fit!“