Controller für acht Millionen Menschen in Deutschland
In Deutschland leben laut Statistischem Bundesamt knapp acht Millionen Menschen mit einer schweren Behinderung, davon rund 80 Prozent mit körperlichen Einschränkungen “Das ist die größte Minderheit überhaupt”, erklärt Daniel. Der PlayStation-Entwickler hat in seiner Arbeit eng mit verschiedenen Organisationen zusammengearbeitet. Mitglieder von AbleGamers und SpecialEffects waren die ersten Testerinnen und Tester des neuen Produkts. “Mit ihrer Hilfe konnten wir Prototypen entwickeln und auch direkt ausprobieren, wie sie zuhause eingesetzt werden.”, so der Techniker. “Welche Hindernisse gibt es? Wie kommen Assistenten, die keine Gamer sind, mit den Geräten zurecht? Ist es intuitiv anzuwenden? Wie selbstständig können Menschen mit Einschränkungen unser Produkt bedienen?”.
Er selbst hat dabei viel gelernt: “Wir mussten feststellen, dass es nicht viel hilft, wenn wir uns auf Formen konzentrieren. Stattdessen war die zentrale Frage: Was verhindert, dass Menschen unseren Standard-Controller benutzen können? Was müssen wir an dem neuen Gerät verändern, um Barrieren abzubauen?” Beispielsweise wurde deutlich, dass viele der Testenden Schwierigkeiten hatten, einen normalen Controller zu halten. “Früher haben wir den Controller für Melly oft auf die Ablage vom Rolli gelegt”, erinnert sich Claudia, “aber auch damit waren viele Knöpfe außer Reichweite. Außerdem war die Vibration ein Problem”.
Kontrolle statt Special Effects
Eigentlich ist Sony stolz auf das haptische Feedback seines PS5-Controllers. Im Gegensatz zum Vorgänger vibriert er nicht einfach nur, etwa beim Abschießen einer Waffe, sondern ist in der Lage, verschiedenste Geräusche haptisch umzusetzen. Töne werden hier mit Hilfe eines speziellen Lautsprechers in Bewegung verwandelt. Je nachdem ob der Charakter beispielsweise über Sand läuft, über Fels oder über Glas, vibriert Controller unterschiedlich. Doch so beeindruckend dieses 4D-Erlebnis auch sein mag, für Melly bedeutet Vibration vor allem eins: noch weniger Kontrolle bei der Spielsteuerung. Da es nicht nur ihr so geht, wurde den PlayStation-Entwicklern schnell klar: Festhalten und Bedienen müssen voneinander getrennt werden. “Eine Idee war beispielsweise, den Controller einfach an einer Halterung zu befestigen. Doch uns war schnell klar, dass wir unser Ziel so einfach nicht erreichen konnten. Es gab noch zu viele Hindernisse”, beispielsweise die Beweglichkeit oder das Erreichen einzelner Tasten.
Inklusive Testphase: Betroffene als Experten
Eine lange Zeit des Ausprobierens begann – nicht nur für die Mitarbeitenden von Sony. “Immer wieder haben wir Proband*innen von SpecialEffects und AbleGamers Prototypen geschickt und Feedback eingeholt. Sie waren unsere Expert*innen. Wir waren unheimlich überrascht, mit welcher Kreativität sie unsere Controller genutzt haben. Beispielsweise gab es Leute, die nur sehr grob eine Hand benutzen konnten. Die haben den Controller dann zum Bedienen gegen ihren Kopf gedrückt. Andere haben ihn sich zwischen die Beine geklemmt”. Wenn das alles nicht hilft, gibt es zudem die Möglichkeit, Zusatzequipment anzuschließen. Auf der einen Seite des fertigen Modells ist der Joystick befestigt, auf der anderen befinden sich vier 3,5 Millimeter große Standard-Buchsen. “Durch die Anordnung soll Kabelsalat verhindert werden”, erklärt Daniels.
Was allerdings auffällt: Der Access Controller besitzt lediglich vier Buchsen, während das Konkurrenzmodell von Microsoft über 21 Anschlüsse verfügt, davon 19 Klinkeneingänge. Jedoch sind diese beim Adaptive Controller alle mit festen Funktionen belegt, wohingegen sich die Eingänge bei Sonys Entwurf völlig frei besetzen lassen. Jede der Buchsen erlaubt eine analoge, sprich, eine differenzierte Steuerung. Anstatt also nur Knöpfe mit einer Ja-Nein-Auswahl anzuschließen, lässt sich hier zum Beispiel auch ein weiterer Joystick hinzufügen – oder eines der zahlreichen Zusatz-Hilfsmittel, die inzwischen auf dem Markt erhältlich sind. Fußpedale, Blasrohre, Knöpfe zum Draufbeißen, die Möglichkeiten sind vielfältig.
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Kombiniere: Der Controller funktioniert auch im Doppelpack
Wer sich einen weiteren Joystick wünscht, muss jedoch nicht zwingend in die Tasche greifen, um Zusatzequipment zu kaufen. Stattdessen besteht die Möglichkeit, den Access Controller mit bis zu zwei weiteren Controllern zu koppeln. Egal ob barrierefrei oder nicht, die zwei bis drei vernetzten Geräte reagieren nach der Einrichtung wie ein einziger Apparat. Das kann zum Beispiel hilfreich sein, wenn die Hände zum Zocken weit auseinander liegen müssen. Oder aber es ermöglicht, sich die Aufgaben im Spiel mit Freunden zu teilen. Etwa so: Einer läuft, einer kämpft, einer duckt sich.
In jedem Fall braucht es für so eine Kombination präzise Koordination, doch es könnte helfen, Szenarien zu überwinden, in denen Menschen durch ihre Einschränkungen allein nicht weiterkommen. Vor allem gleichzeitig zu laufen und die Kamera zu steuern fällt Melly beispielsweise schwer. Softwareautomatiken, bei denen die Kamera automatisch folgt, funktionieren in ihren Augen nicht besonders gut. Oft hinkt das Bild hinterher. Bei ihrem Xbox Adaptive Controller hat sie daher eine andere Lösung gefunden.
Dieser Controller bietet die Möglichkeit, einen Button mit der Funktion “Vorwärts” zu belegen. Melly legt diesen Befehl auf einen externen Knopf, den sie mit den Beinen bedient. So haben ihre Hände mehr Ruhe für die eigentliche Steuerung. Die Schwierigkeit dabei ist, dass sie permanent nur vorwärtslaufen kann. “Noch so eine Challenge, die Leute mal ausprobieren sollten, bevor sie über und ‘Cheater’ meckern”, rät Claudia augenzwinkernd. Immerhin hat dieses Feature Melly unter anderem ermöglicht, die Demo-Version von Doom zu 90 Prozent durchzuspielen, wie sie selbst sagt. Nun wünscht sich die Gamerin diese Funktion auch für den Access Controller.
Viele Verbesserungsvorschläge, viel Lob
Rennfunktion, großer Profilbutton, sensiblere Tasten, mehr Klinkenanschlüsse, die Wünsche, die in London an die Entwickler heran getragen werden, sind vielfältig. Sony hat das Event so aufgebaut, dass viel Zeit bleibt, mit dem neuen Controller zu spielen, ihn dabei auseinanderzunehmen und sich auszutauschen. ITler, Techniker und PR-Menschen hören sich das Feedback geduldig an. Sie können jedoch keine Versprechen machen. “Wir wissen, dass es noch viele Verbesserungsmöglichkeiten gibt”, so Alvin Daniel, “Doch nach fünf Jahren der Entwicklung wollten wir das Produkt endlich erstmal auf den Markt bringen”.
Zwar soll der Controller auch künftig weiter modifiziert werden, doch die Einschränkungen, mit denen Menschen zu kämpfen haben, sind zu vielfältig, um mit nur einem Gerät jedes Szenario abdecken zu können. “Es geht darum, möglichst vielen Menschen den Zugang zum Gaming zu ermöglichen. Wir wissen, dass wir nicht alle Probleme lösen können, aber für uns ist es schon ein Erfolg, wenn Menschen in den Games, die sie gern spielen, plötzlich weiterkommen, als vorher. Oder auch, wenn sie ganz neue Spiele für sich entdecken”, bekräftigt der Entwickler. “Das bezieht sich nicht nur auf Menschen mit krankheitsbedingten Einschränkungen. Wir alle werden älter und auch für Senior*innen wird Gaming zunehmend interessant. Jetzt ist es an uns, Barrieren abzubauen, damit alle, die wollen, auch spielen können”.
Tatsächlich entdecken nicht nur die anwesenden Test-Gamer das neue Spielzeug schnell für sich. “Mit diesem Controller lässt sich praktisch ein Arcade-Automat nachbauen”, freut sich Tobias Meyer vom Magazin PC Games. Beinah schon ein Grund, den Controller auch als nicht-eingeschränkte Person zu kaufen, vor allem für jene die gern Retro-Klassiker à la Street Fighter zocken und sich dafür stilechtes Automaten-Feeling wünschen.
Kosten bleiben überschaubar
Der Access Controller ist auch deshalb etwas besonderes, weil er preislich verhältnismäßig knapp über dem DualSense Wireless liegt. Dieser kommt mit 70 Euro daher, der Access wird 90 Euro kosten, wenn er am 6. Dezember dieses Jahres erscheint. Ein eher geringer Unterschied, wenn man bedenkt, dass Lösungen für barrierefreies Gaming finanziell bislang in die Hunderte gingen.
Fazit
Letztlich bleibt festzuhalten, dass der Access Controller trotz ausbaufähiger Details zweifelsohne einen großer Schritt in Richtung barrierefreies Gaming bedeutet. Für Melly und viele andere öffnen sich damit neue Welten, etwa von God of War Ragnarök oder Horizon Forbidden West. Gaming wird inklusiver und dabei auch finanziell erschwinglicher. Auch wer sich auf die eigenen Beine nicht verlassen kann, hat nun die Möglichkeit Asgard zu betreten, Pilzzombies zu bekämpfen und den Verbotenen Westen zu erkunden. Wie sich der Controller langfristig entwickelt, ist offen. Neue Softwareupdates könnten weitere Barrieren abbauen. Erst einmal jedoch ist der weltweite Marktstart für den 6. Dezember geplant. IMTEST wird den Controller ausführlich testen und im Detail berichten, was das Gerät in der Praxis kann. Dabei soll auch Melly wieder zu Wort kommen. Sie berichtet in einigen Wochen, wie sich Gaming für sie mit dem Access Controller verändert hat.