Vor rund zwei Jahren brachte Huawei die Watch 3 Pro auf den Markt. Die Ambitionen waren hoch: hochwertige Gehäusematerialien und Mobilfunk unabhängig vom Smartphone – das konnten bis dahin nur die Apple Watch und die Samsung Galaxy Watch. Doch auch der Preis war mit 500 Euro gesalzen – und die Funktionen nicht ausgereift. Mit der Huawei Watch 4 Pro setzen die Chinesen nun noch stärker auf das Premiumsegment. Das neue Flaggschiff kostet in der getesteten Titaniumvariante stolze 649 Euro. Ob Käufer für diesen Preis auch eine Top-Smartwatch erhalten, hat IMTEST untersucht.
Huawei Watch 4 Pro: Edel und schwer
Optisch macht die Watch 3 Pro auf jeden Fall einen starken Eindruck: großer 1,5 Zoll OLED-Touchscreen, Titangehäuse und kratzfestes Saphirglas. Mit 112 Gramm inklusive Metallarmband ist sie allerdings ein echter Brocken und definitiv nichts für zarte Handgelenke. Immerhin gibt es eine zweite Version mit Lederarmband, die etwas leichter ist. Trotzdem: Beim Schlafen oder Sport stören das hohe Gewicht und die brachialen Maße (47,6 mm × 47,6 mm × 12,9 mm). Immerhin ist die Smartwatch stabil: Ist ist nach IP68 staubgeschützt und wasserdicht – Tauchen ist zum Beispiel bis zu einer Tiefe von 30 Metern möglich.
Das AMOLED-Display hingegen lässt kaum Wünsche offen: Es ist hell, bunt, kontrastreich und mit 466 × 466 Pixeln und einer Pixeldichte von 310 ppi gestochen scharf. Die Bedienung erinnert an die Apple Watch: Auf der rechten Gehäuseseite befindet sich neben einer drehbaren Krone ein programmierbarer Knopf. Die Krone dient unter anderem zum Scrollen durch die Menüs und zum Einstellen der Lautstärke des Lautsprechers. Standardmäßig wird der Knopf beispielsweise zum Starten von Workouts oder zum Aktivieren des Sprachassistenten verwendet. Alles funktioniert einwandfrei und flüssig. Kurzum: In Sachen Verarbeitung und Bedienung gibt es keinen Grund zur Kritik, im Gegenteil.
Smarte Funktionen: Ein Schritt nach vorne
Die Huawei Watch 4 Pro kann sowohl mit dem iPhone (ab iOS 9) als auch mit Android-Handys (ab Android 6.0) genutzt werden. Die Kopplung erfolgt über die Huawei Health App. Diese ist aufgrund des US-Embargos nicht mehr im Google Play Store zu finden, kann aber über einen auf der Uhr angezeigten QR-Code direkt heruntergeladen werden. Für die Installation wird eine kostenlose Huawei-ID benötigt.
Die Huawei Watch4 Pro ist eine der wenigen Smartwatches auf dem Markt, die durch die Integration einer eSIM sowie eines Mikrofons und Lautsprechern das Telefonieren unabhängig vom Smartphone ermöglicht. Dies funktioniert – ähnlich wie bei der Apple Watch – abhängig von den Umgebungsgeräuschen ziemlich gut. Neu bei der Watch 4 Pro ist, dass die eSIM nun wahlweise dieselbe Nummer wie das Handy oder eine eigene Nummer haben kann. Ebenfalls gut: Im Gegensatz zum Vorgängermodell ist das Beantworten von Nachrichten möglich (nur Android) – wahlweise per vordefinierter Kurzantwort, Spracheingabe oder über die Bildschirmtastatur. Bei der Watch 3 Pro fehlte diese Funktion zum Marktstart und wurde erst später per Update nachgeliefert. Die vordefinierten Kurzantworten können über die Health App auf dem Smartphone angepasst werden. Alles super mit den smarten Funktionen? Nicht ganz:
- App-Auswahl: Huawei verspricht durch die Anbindung der „AppGallery“ die Möglichkeit, Apps aus den Bereichen Musik, Fitness, Alltagstools und Reisen auf die Watch 4 Pro herunterladen zu können auf diese Weise neue Funktionen auf die Uhr zu bringen. Allerdings hapert es noch immer an der Auswahl. Zum Testzeitpunkt im Juli 2023 waren zwar mehr als 200 Apps verfügbar. Im Vergleich zu den Stores von Apple und Google ist das sehr wenig. Obendrein fehlen große Namen. Zu den Highlights gehören „Outdooractive“, „Tagesschau“ und „Kicker“.
- Mobiles Bezahlen: Kontaktloses Bezahlen ist mit der Huawei Watch 4 Pro nicht möglich. Zwar bringt die Uhr technisch alles dafür mit. Es fehlen aber Kooperationen mit deutschen Banken.
- Messaging: Im Gegensatz zu Smartwatches mit Googles Wear OS unterstützt die Huawei Watch 4 Pro keine Wiedergabe von Sprachnachrichten. Auch Bilder und Standorte werden nicht auf dem Display angezeigt.
- Musik: Durch die eSIM lassen sich durch den Download entsprechenden Apps auch Podcasts und Radio-Streams-Abseits vom Handy hören. Über die Smartwatch lässt sich auch die Musikwiedergabe des Smartphones steuern (nur Android). Musik-Streaming via Spotify, Deezer oder Amazon-Music ist aber nicht möglich. Allein „Huawei Music“ wird unterstützt – aber wer nutzt das schon?
- Sprachassistent: Das Gegenstück zu Siri hört bei Huawei auf den Namen „Celia”. Die Sprachassistentin beantwortet zwar Fragen zum Wetter, startet Apps und steuert die Musikwiedergabe, vom Wissen und der Funktionalität von Siri oder dem Google Assistant ist die Huawei-Assistentin noch meilenweit entfernt.
Hinzu kommt: Nicht alle Funktionen sind auf der Huawei Watch 4 Pro für jeden verfügbar. Welche Funktionen nutzbar sind, hängt davon ab, welches Gerät gekoppelt ist. Die Kamera des Smartphones lässt sich beispielsweise nur steuern, wenn es sich um ein Huawei Handy handelt. Warnungen über Unregelmäßigkeiten im Herzschlag von Familienmitgliedern gibt es als iPhone-Nutzer nicht. Auch die Musiksteuerung und das Beantworten von Nachrichten funktionieren mit iPhones nicht.
Garmin Epix Pro im Test: Die Königin der Smartwatches?
Was das Epix-Update zur Pro-Version kann, klärt der Test.
Fitnessfunktionen: Hut ab
Die Fitness- und Sportfunktionen sind dagegen erstklassig: Die Uhr bietet mehr als 100 Trainingsmodi, darunter 19 Profimodi mit umfangreicheren Messungen. Dazu gibt es verschiedene Laufkurse für Anfänger und Fortgeschrittene sowie Anleitungen für Fitnessübungen zu Hause. Die Auswertungen sind in der Regel detailliert und zeigen gängige Informationen wie zurückgelegte Strecke, Durchschnittsgeschwindigkeit, Herzfrequenz und Höhenmeter an. Darüber hinaus liefert die App Informationen zur anaeroben und aeroben Belastung, zum Trainingspensum und zur empfohlenen Regenerationszeit.
Während die Angaben zu Distanz und Herzfrequenz im Vergleich zur IMTEST-Sportreferenz Garmin Epix 2 Pro realitätsnah erschienen, erschienen den Testern die Werte rund um den Kalorienverbrauch unrealistisch hoch. Ein Beispiel: Während Garmin für ein rund einstündiges Radtraining 963 Kilokalorien errechnete, gab Huawei Health 1.568 Kilokalorien an. Ähnlich optimistisch erschien den Testern auch die Angabe zum Vo2-Max. Gut dagegen: Es gibt eine Sturzerkennung mit Notruffunktion. Registriert die Uhr einen Sturz, wechselt sie sofort in den Notfallmodus und informiert die hinterlegten Notfallkontakte. Alternativ kann durch fünfmaliges Drücken der Krone schnell ein Notruf abgesetzt werden.
Watch 4 Pro: Navigation mit echten Karten
Huawei darf wegen des anhaltenden US-Embargos auf seinen hierzulande verkauften Smartphones keine Google-Dienste mehr vorinstallieren. Dies betrifft GMail, YouTube und auch Google Maps. Für die Huawei Watch 4 Pro bietet Huawei daher alternativ den Kartendienst Petal Maps an. Dieser bietet eine umfassende Kartennavigation inklusive Anweisungen für Fußgänger und Radfahrer. Im Gegensatz zu den Lösungen von Garmin setzt die Nutzung allerdings eine Internetverbindung voraus – Offlinekarten sind nicht verfügbar. Auch der Import von Routen – beispielsweise von Komoot – ist nicht möglich.
Gesundheit: Bitte einmal husten
Im Bereich Gesundheit ist die HUAWEI Watch 4 Pro gut aufgestellt: Sie misst Herzfrequenz, Blutsauerstoffsättigung (SpO2), Stresslevel, Körpertemperatur, erstellt ein EKG und überwacht den Schlaf. Nicht an Bord sind dagegen Funktionen zur Beobachtung der Herzfrequenzvariabilität (HRV) und zur Messung des Blutdrucks.
Dafür verfügt die Watch 4 Pro nun über den Modus „Health Glace”, der in nur einer Minute einen genauen Überblick über den eigenen Gesundheitszustand geben soll. Das Gerät misst zunächst die durchschnittliche Herzfrequenz, den Blutsauerstoffgehalt (SpO2) und den Stresslevel. Weitere Funktionen sind die Messung der Hauttemperatur, die Durchführung eines EKGs und die Messung der Arterienhärte. Für einen speziellen Atmungstest muss sich der Benutzer schließlich in einen ruhigen Raum begeben: Dort wird er von der Uhr aufgefordert, einzuatmen und anschließend zu husten. Aus dem Geräusch, das dabei entsteht, soll die Uhr ableiten können, ob mit der Lunge alles stimmt. Einen Arztbesuch können diese Werte natürlich nicht ersetzen. Laut Huawei sollen sie vielmehr helfen, den eigenen Körper einzuschätzen.
Huawei Watch 4 Pro: Akkulaufzeit
Die Apple Watch und die Samsung Galaxy Watch kämpfen mit einer sehr geringen Akkulaufzeit von nur rund 24 Stunden. Huawei hingegen verspricht eine Akkulaufzeit von bis zu 4,5 Tagen im Smart-Modus. Im Test waren es hingegen selbst ohne Always-on-Display maximal dreieinhalb Tage – nicht überzeugend. Dazu kommt, dass in Kombination mit einem iPhone die Ausdauer auf rund 2 Tage sinkt. Dafür bietet die Watch 4 Pro einen Ultra-Langzeit-Sparmodus, der nach eigenen Angaben bis zu drei Wochen im Dauerbetrieb aushalten soll. In diesem Fall fehlt allerdings der Zugriff auf einige Apps und Funktionen wie den Smart Assistant.
Fazit
Die Huawei Watch 4 Pro präsentiert sich als robuste und leistungsstarke Smartwatch, die nicht nur durch Dimensionen und Gewicht einen großen Eindruck hinterlässt. Sie punktet vor allem durch Ihre Vielseitigkeit, wobei sie allerdings im Bereich Sport und Fitness nicht an die Top-Produkte von Garmin, und bei den smarten Funktionen nicht mit der Apple und der Galaxy Watch mithalten kann.
- PRO
- Schöner, großer scharfer Bildschirm; Gute Sport- und Fitnessfunktionen; eigener Look.
- KONTRA
- Smarte Funktionen mit Luft nach oben; funktionale Einschränkungen mit Kombination mit iPhones.
IMTEST Ergebnis:
gut 2,2