Veröffentlicht inPflege/Vorsorge

Auf Demenz reagieren: Selbsthilfe für Betroffene

Wie reagiert man auf die Diagnose Demenz?

Ein junger Mann sitzt mit einer Demenzkranken vor einem Tablet
© Getty Images

Die Befürchtung wird zur Realität die Ärzte diagnostizieren Demenz. Für die meisten ist diese Nachricht ein großer Schock, der erst einmal verdaut werden muss. Ein offenes Gespräch mit Freunden und der Familie kann helfen, die verständlichen Ängste und Sorgen zu verarbeiten. Das Leben geht auch mit Alzheimer oder einer anderen Form der Demenz weiter. Aber die Schädigungen des Gehirns können nicht rückgängig gemacht werden. Im Gegenteil: Sie werden im Laufe der Zeit zunehmen. Umso wichtiger ist es, schon jetzt vorzusorgen und rechtliche, gesundheitliche und finanzielle Angelegenheiten für die Zukunft in gute Hände zu geben.

Wissen über Demenz erwerben

Doch auch Demenzkranke, deren Wesen und Verhalten nicht mehr wiederzuerkennen sind, die die Fähigkeit, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, verloren haben und pflegebedürftig geworden sind, verlieren nicht seine Menschenwürde. Freundlichkeit, sanfte Berührungen, menschliche Wärme, Nähe und Geborgenheit wird der Kranke weiter spüren. Damit Angehörige immer wieder die Kraft finden, die Würde des Kranken zu erhalten, sind folgende Hinweise hilfreich: Sich über die Krankheit zu informieren, macht sie kalkulierbar. Angehörige können sich auf das Kommende einstellen und Lösungen aktiv planen und gestalten.



Demenz als Tatsache annehmen

Es gibt noch keine Heilung bei Demenz, die Krankheit verläuft chronisch. Nur die Linderung vieler Symptome durch gezielte Medikamentengabe ist möglich: bei Unruhe beruhigende, bei trauriger Stimmung aufhellende, bei Aggressivität ausgleichende und bei Antriebslosigkeit aktivierende Medikamente. Arzneimittel, die an den Nervenzellen im Gehirn und an den Botenstoffen die Übertragung von Informationen fördern, können die Denkleistung eine Zeit lang stabilisieren und vielleicht verbessern. Der Krankheitsverlauf kann also verlangsamt werden. Dafür sollte die Behandlung möglichst im frühen Stadium der Demenz beginnen, dann sind die Erfolge am wahrscheinlichsten und am größten.



Die Kranken verstehen

Dem Pflegenden erscheinen viele Verhaltensweisen als unangemessen, zum Beispiel Gereiztheit oder Passivität. Durch Gespräche sind Lösungen kaum noch möglich. Pflegende Angehörige sollten herausfinden, wovor der Kranke Angst hat, was ihn wütend oder ungeduldig macht. Häufig können körperliche Nähe, vertraute Musik oder Streicheln den Patienten beruhigen und seine Anspannungen lösen.

Ruhe, Freundlichkeit, Bestimmtheit und Geduld, eine klare Sprache, kurze Sätze sowie einfache Formulierungen verbessern die Verständigung.

Eine jüngere und eine ältere Fraue sitzen zusammen im Park und schauen auf ein Smartphone.
Musik, Bewegung und andere Impulse können das Leben mit Demenz etwas leichter machen. © Andrea Piacquadio/Pexel

Das eigene Verhalten an die Krankheit anpassen

Das eigene Verhalten an den Kranken anpassen: Die fremde Umgebung eines Pflegeheims oder Krankenhauses verunsichert den Patienten. Vertraute Möbel, Bilder, aber auch Musik helfen ihm, zur Ruhe zu kommen. Bezugspersonen sollten nicht wechseln. Ein vertrautes Gesicht sollte die täglichen Abläufe möglichst in gleicher Art und Weise verrichten. Das schafft einen sicheren und strukturierten Tagesablauf. Ein Demenzkranker, der beruflich immer sehr früh aufstehen musste, wird dies mit großer Wahrscheinlichkeit auch weiterhin tun wollen. Änderungen der Lebensgewohnheiten sind kaum noch möglich. Pflegende müssen für Sicherheit in der Umgebung des Kranken sorgen, zum Beispiel Stolperfallen wie Kabel, Stühle und Teppiche aus dem Weg räumen und für ausreichende Beleuchtung sorgen.

Fähigkeiten zum Umgang mit Demenz

Ein Demenzpatient möchte nicht wie ein Kleinkind behandelt werden, sondern freut sich über sinnvolle Beschäftigung. Indem man die Kranken in den Alltag einbindet, können Fertigkeiten integriert und erhalten werden. Ob es möglich ist, dass sie den Tisch decken, den Gartenweg fegen oder Wäsche aufhängen, muss

im Einzelfall probiert werden. Eine ständige Überforderung ist allerdings nicht empfehlenswert, genauso wenig wie eine ständige Unterforderung. Das Aufsagen von Zahlenreihen ist zum Beispiel nicht geeignet, die Hirnleistung anzuregen. Wer tut dies schon im normalen Alltagsleben! Folglich würde sich der Kranke eher als Schulkind behandelt fühlen und nicht als erwachsener Mensch mit vielen Jahrzehnten Lebenserfahrung.



Körperliche Bewegung als Gegenpol

Körperliche Bewegung tut jedem Menschen gut. Experten wissen, dass sich im fortgeschrittenen Krankheitsstadium einer Demenz Stürze häufen. Daher ist es gut, frühzeitig mit dem Training der Koordination von Bewegungsabläufen zu beginnen. Durch Gymnastikübungen und Spaziergänge wird die Muskulatur gekräftigt und die körperliche Beweglichkeit erhalten. Nach ärztlicher Verordnung kann der Patient gemeinsam mit einem Physiotherapeuten gezielt an seiner Kraft und Ausdauer arbeiten. In der Ergotherapie werden alltagsrelevante Handlungsabläufe trainiert, beispielhaft zu nennen ist das Küchentraining.

Eine Hand liegt auf einer anderen.
Ruhe und Freundlichkeit sind ein Muss – auch wenn es nicht immer leichtfällt, die Nerven zu behalten. © Pixabay / Sabine van Erp

Selbstführsorge für Angehörige

Nur wer belastbar und ausgeglichen ist und sein eigenes Befinden nicht aus den Augen verliert, kann dem Demenzkranken wirklich dauerhaft helfen. Körperlich und seelisch überlastete Angehörige schaden sich selbst. Der Verzicht von Beruf, Freizeit und Urlaub führt oft zu eigenen gesundheitlichen Problemen wie Schlafstörungen, Depressionen, Rückenschmerzen. Schuld- und Versagensgefühle stellen sich fast zwangsläufig ein. Um sich vor Überforderung zu schützen, sollte man sich nicht scheuen, professionelle Pflege in Anspruch zu nehmen. Ambulante Pflegedienste, Pflegeheime, Kurzzeitpflege, Tages- oder Nachtpflegeeinrichtungen bieten die in vielen Fällen dringend notwendige Entlastung und Unterstützung.

Die Kurzzeitpflege ermöglicht es Angehörigen zum Beispiel, einen Urlaub oder eine Kur zu machen, auszuspannen und die eigenen Batterien wieder aufzutanken. Neben der körperlichen sollte auch die psychische Überanstrengung nicht auf die leichte Schulter genommen werden. Angehörigen fällt es oft schwer, sich ihre Erschöpfung aufgrund der 24-stündigen Dauerbelastung einzugestehen und über ihre Sorgen und Nöte offen zu sprechen. Der Austausch mit anderen Betroffenen, zum Beispiel in Gesprächskreisen oder einer Selbsthilfegruppe, kann helfen, die eigene Seele zu entlasten.

Selbsthilfe für Betroffene von Demenz

Wer einen altersverwirrten Menschen betreut, gerät schnell in die Isolation. Deshalb ist der Erfahrungsaustausch im Rahmen der Selbsthilfe mit anderen Familien so wichtig. Ich bin nicht allein und kann etwas über die kleinen Tricks und Kunstgriffe der anderen Teilnehmer lernen, um selbst besser mit der Situation zurechtzukommen. Doch mit wem können die Betroffenen selbst reden? Wer diese Marktlücke bei den Selbsthilfegruppen vermisst, ist aufgerufen, so etwas in seinem Heimatort selbst ins Leben zu rufen.

Gabriele Harloff hat seit Jahrzehnten immer wieder mit Demenzkranken zu tun – in ihrem gelernten Beruf als Krankenschwester genauso wie heute als ausgebildete Gedächtnistrainerin und Pflegedienstleiterin. Und so ist der engagierten Pflegekraft aufgefallen, dass Demenzkranke oft keinen Ansprechpartner haben. “Alle Angebote sind für Angehörige, doch die Betroffenen brauchen gerade am Anfang der Krankheit einen Austausch mit Gleichgesinnten”, erklärt Harloff die Idee zu einer begleiteten Selbsthilfegruppe.

Beispiel einer Selbsthilfegruppe

Die regelmäßigen Treffen gibt es seit einem Jahr. So leidet etwa eine ältere Dame unter Depressionen und Gedächtnisstörungen. Auf einer Überweisung an den Neurologen stand nun zu lesen: “Verdacht auf Alzheimer.” Die 67-Jährige möchte jetzt wissen, was das für sie bedeutet. Immer wieder berichten die Teilnehmer, dass sie von ihren Familienangehörigen seit der Diagnose plötzlich überfürsorglich behandelt werden. Das wiederum führt dazu, dass sie um ihre Selbstständigkeit fürchten. Und es gibt Menschen, für die eine Welt zusammenbricht – und die genau an diesem Punkt eine Anlaufstelle brauchen. “Es ist eine Mischung aus Verzweiflung, Perspektivlosigkeit und Hilflosigkeit”, beschreibt Gabriele Harloff das Gefühlschaos.

Die Unterstützung der Gruppe besteht darin, die Panik zu lindern, eine Haltung zu der Krankheit zu entwickeln und sich gegenseitig mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Zur Strategie gehört auch, humorvoll mit sich selbst umzugehen. Am Ende des Treffens gibt es noch ein Bewegungstraining oder eine Wort- und Gedächtnisübung. Danach fahren die Teilnehmer gelöst und mit einer Perspektive für die nächsten Tage wieder nach Hause.

Der vorliegende Text stammt aus dem Ratgeber “Der Pflegekompass” von Jochen Mertens e.K., erstmals erschienen 2021 bei der Funke Mediengruppe.

* Die hier aufgeführten Angebote sind mit Affiliate-Links versehen. Bei einem Kauf über einen dieser Links erhält IMTEST vom Anbieter eine kleine Provision.

Avatar photo

Maja-Lina Lauer arbeitet seit Oktober 2022 als Volontärin für IMTEST. Zuvor studierte sie Sozial- und Kulturwissenschaften in Fulda mit Schwerpunkt interkulturelle Beziehungen. Vor ihrem Volontariat engagierte sie sich zudem ehrenamtlich in den Bereichen Bildungsarbeit und Naturschutz. Entsprechend liegen ihr Fairness und Nachhaltigkeit sehr am Herzen. Ob alternative Mobilität, Foodsharing-Apps oder langlebige Recyclingprodukte – sie kann sich für vieles begeistern, Hauptsache es ist sinnvoll, nachhaltig und erschwinglich.