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Elektro-Motorräder: Lohnt eine Anschaffung jetzt schon?

Lohnt sich die Anschaffung eines Elektromotorrads schon heute? Was für Vorteile, Nachteile und Modelle gibt es?

Person auf einem Elektro-Motorrad auf einer Straße fahrend.
© Harley-Davidson

Elektro-Motorrad: Lohnt es sich? // IMTEST

Lohnt sich die Anschaffung eines Elektromotorrads schon heute? Was für Vorteile, Nachteile und Modelle gibt es?

Analog zu den E-Autos kommen immer mehr elektrisch angetriebene Motorräder auf den Markt. Sind sie schon ausgereift – oder sollte man mit dem Kauf lieber noch warten?

Da die Elektromobilität in Deutschland nach einem etwas zähen Start nun doch an Fahrt aufgenommen hat (nicht zuletzt wegen staatlicher Förderungen), kommen auch immer mehr elektrisch angetriebene Zweiräder auf den Markt. Abgesehen von den hierzulande heute schon populären, 45 km/h schnellen E-Motorrollern (wie etwa vom chinesischen Hersteller NIU) ist das Angebot derzeit allerdings noch überschaubar, da die großen Motorradhersteller bislang zurückhaltend agieren. So haben etwa die traditionell innovationsfreudigen japanischen Marken Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha noch kein einziges Elektro-Motorrad im Portfolio, auch bei den sonst so rührigen italienischen Motorradherstellern tut sich bis auf einige Wettbewerbsmaschinen bisher wenig.

Schon vor Jahren mutig des Themas angenommen haben sich hingegen BMW, Harley-Davidson und allen voran die kalifornische Marke Zero, die als Tesla unter den Zweiradproduzenten gilt. Geländesportmodelle gibt es vom Schweizer Hersteller Quantya sowie der österreichischen Marke KTM, sie verfügen allerdings nur in Ausnahmefällen über eine Straßenzulassung. Künftig werden einige E-Motorräder aus chinesischer Produktion in Deutschland erwartet – aktuell ist man jedoch noch mit dem Aufbau einer Händlerinfrastruktur beschäftigt.

Vor- und Nachteile von Elektromotorrädern

Die Vor- und Nachteile eines Elektromotorrads gegenüber seinem Pendant mit Verbrennungsmotor sind im Grunde die gleichen wie im Automobilbau. Die beiden größten Handicaps sind immer noch die geringe Reichweite und der hohe Preis. Physikalisch betrachtet lässt sich in einem Benzin- oder Dieseltank (es gibt tatsächlich auch Diesel-Motorräder) nunmal wesentlich mehr Energie speichern als in einem Akku gleicher Größe oder gleichen Gewichts.

Will man also eine hohe Reichweite erzielen, fällt die Batterie entsprechend groß und schwer aus. Das hohe Gewicht beeinflusst neben dem Fahrverhalten letzten Endes aber wiederum die Effizienz negativ. Hält man dagegen das E-Motorrad mit einem kompakten Akku leicht, profitieren Handling und Effizienz. Die Reichweite bleibt aber absolut betrachtet gering – ein klassisches Dilemma.

Ein Auto bietet für den Elektroantrieb schlicht günstigere Platz- und Gewichtsverhältnisse als ein Zweirad. Heutige E-Autos wie der VW ID.3 oder ID.4 erzielen Praxisreichweiten von rund 350 Kilometern. Manch ein Tesla kommt noch deutlich weiter. Beim E-Motorrad muss man sich aktuell in der Praxis mit zirka 150 Landstraßen-Kilometern begnügen – es gibt natürlich Ausreißer nach oben. Vor allen aber nach unten. Die Hersteller versprechen in ihren Prospekten (wie in der Autobranche) freilich vollmundig wesentlich mehr.



Doch die angegebenen Reichweiten sind nur unter optimalen Bedingungen zu erzielen. Bei mildem Wetter und wenn nie stark beschleunigt sowie hohe Geschwindigkeiten grundsätzlich vermieden werden. Wer mit dem E-Motorrad auf der Autobahn hingegen dauerhaft “Vollstrom” gibt, kommt keine 100 Kilometer weit. Da ist die Tour schnell zu Ende und umdrehen angesagt, denn mal eben nachtanken ist nicht möglich. Je nach Hersteller dauert das volle Aufladen des Akkus viele Stunden. Ein kurzes “Nippen” an der Ladesäule bringt nur ein paar Dutzend Kilometer Spielraum.

Ein Mann lädt ein Elektromotorrad
Achillessehne der Elektro-Motorräder: Geringe Reichweite und häufiges Aufladen. © Zero

Wie gemacht für den Stadtverkehr

Der Stadtverkehr mit seinen niedrigen Geschwindigkeiten und häufigen Stopps ist hingegen die Paradedisziplin des Elektroantriebs. Hier ist er dem Verbrenner weit überlegen, da er an der Ampel nicht im Stand läuft und beim Bremsen Energie in den Akku zurückspeisen kann. Unter diesen Bedingungen ist die Reichweite eines E-Motorrads am größten, einige schaffen hier über 200 Kilometer. Zudem gibt es keine Kupplung – einfach am “Stromgriff” drehen, und es geht mächtig voran. Und “mächtig” ist nicht übertrieben, denn der Elektromotor gibt seine volle Kraft schon bei der ersten Umdrehung ab, während ein Benziner erst eine gewisse Drehzahl benötigt, um sein Maximaldrehmoment zu entfalten.

Dementsprechend beschleunigen ausgewachsene E-Motorräder wie die Harley-Davidson LiveWire ONE oder eine Zero SR/S in nur etwas über drei Sekunden von null auf 100 km/h und sind damit (fast) auf Augenhöhe mit den schnellsten Verbrenner-Bikes. An deren Höchstgeschwindigkeiten von rund 300 km/h kommen die E-Bikes allerdings nicht ansatzweise heran: Die Elektro-Harley wird bei 177 km/h abgeregelt, die Zero SR/S erreicht 200 km/h – kurzzeitig, dann wird ebenfalls auf 177 km/h (110 miles per hour) heruntergeregelt. Der Grund ist klar: Bei Geschwindigkeiten jenseits der 200 km/h und dem damit einhergehend dramatisch steigenden Luftwiderstand würde die Reichweite schmelzen wie Eis in der Sonne. Da beim Motorrad jedoch der Spaß auf der Landstraße im Vordergrund steht – und nicht stumpfes Vollgasfahren auf der Autobahn –, hat man mit einer Höchstgeschwindigkeit von 177 km/h doch eigentlich genügend “Reserven”.

Deutlich weniger Verschleißteile

Die weiteren Vorteile eines E-Motorrads: Kein Öl- und Zündkerzen-Wechsel, keine Kupplung, die verschleißen, kein Getriebe, das murren, kein Auspuff, der undicht werden könnte. Der Elektroantrieb ist mechanisch wesentlich einfacher und damit weniger wartungsintensiv als ein Verbrenner. Die wichtigste Baugruppe des E-Motorrads, sozusagen sein Gehirn, ist die zugegebenermaßen hochkomplexe (Leistungs-)Elektronik – ein modernes Verbrenner-Bike ist jedoch ebenfalls mit Elektronik vollgestopft, nicht zuletzt für Einspritzanlage und Abgasreinigung. Bei beiden Motorradtypen kommen noch elektronische Sicherheitssysteme wie ABS, Traktionskontrolle oder Wheelie-Control hinzu.



Ein weiterer, nicht unwichtiger Vorteil eines E-Motorrads: Es macht keinen Lärm. In Zeiten immer dichterer Besiedelung schwindet die Akzeptanz lauter Motorräder deutlich – insbesondere, wenn der Besitzer in Sachen Sound noch etwas nachgeholfen hat. Leider verwechseln viele Biker immer noch Klang und Lautstärke. Mit anderen Worten: Ein gut klingendes Motorrad muss nicht laut sein, ein lautes klingt hingegen selten wirklich gut. Dies hat bereits dazu geführt, dass viele Landstraßen für Motorräder gesperrt wurden – ungerechterweise auch für Elektro-Motorräder.

Allerdings ist ein kerniger Auspuff-Sound für viele Biker ein unverzichtbarer Fahrspaßfaktor. Einige halten Lärm zudem für ein aktives Sicherheitsmerkmal, da man ein lautes Motorrad schon von Weitem kommen hört. Das ist nicht von der Hand zu weisen, wenngleich man sich als Motorradfahrer niemals darauf verlassen sollte, dass man von anderen Verkehrsteilnehmern tatsächlich wahrgenommen wird, sei es akustisch oder optisch.



Zum Thema Geld: Anders als bei den Elektroautos gibt es für E-Motorräder leider keine Kaufprämie und die befristete Steuerbefreiung macht einen auch nicht reich. Überdies sind E-Motorräder in der Anschaffung deutlich teurer als vergleichbare konventionelle Bikes – dies wird sich erst mit steigenden Stückzahlen ändern.

Hierzulande verfügbare Elektro-Motorräder

Wie eingangs erwähnt, ist das Angebot an Elektro-Motorrädern derzeit noch sehr klein. Aber durchaus fein. Die Harley-Davidson LiveWire kam 2019 auf den Markt und wurde auch von der deutschen Fachpresse sehr positiv aufgenommen. Auch weil sie mit ihren 250 Kilogramm kaum schwerer als eine Verbrenner-Harley ist. Die Bikes aus Milwaukee waren allerdings nie für ihr geringes Gewicht bekannt. Das seit dem Modelljahrgang 2022 “LiveWire ONE” genannte Modell bietet vier programmierte Fahrmodi (Sport, Straße, maximale Reichweite, Regen).



Dazu drei individuell konfigurierbare Fahrprogramme. Die Reichweite soll im Stadtverkehr bis zu 235 Kilometer betragen und der Akku an einer Level-3-Gleichstrom-Schnellladesäule mit CCS-Stecker in nur 40 Minuten zu 80 Prozent geladen sein. 100 Prozent Ladestand werden nach einer Stunde erreicht. Alternativ lässt sich die Elektro-Harley mit 230-Volt-Haushaltsstrom über Nacht voll aufladen. Aus dem Stand beschleunigt die LiveWire ONE in gut drei Sekunden auf 100 km/h, bei 177 km/h wird abgeregelt. Die Preise starten bei stolzen 33.000 Euro.

Ein Elektromotorrad von Harley Davidson
Blitz ohne Donner: Die Harley-Davidson LiveWire ONE hat Kraft im Überfluss und ist flüsterleise. © Harley Davidson

Über das mit Abstand größte Portfolio an E-Motorrädern verfügt derzeit die Marke Zero aus Kalifornien – der Tesla unter den Zweirädern. Sechs Straßen- und drei Geländemodelle werden aktuell angeboten. Schnellstes Modell ist die 110 PS leistenden Zero SR/S, die in etwas mehr als drei Sekunden auf 100 km/h und weiter bis 200 km/h beschleunigt. Zugunsten der Reichweite wird nach kurzer Zeit allerdings auf 177 km/h heruntergeregelt. Auch eine Zero ist nicht ganz billig: das Topmodell SR/S kostet ab 22.190 Euro, das günstigste Modell, die 44 PS starke und nur 131 Kilo schwere Enduro FX, startet bei 13.810 Euro.

Elektrische Roller und Kleinkrafträder

Nachdem BMW mit dem C evolution den ersten elektrischen Motorradroller (mit einer Spitzenleistung von satten 48 PS) auf den Markt gebracht hatte, rollt nun mit dem CE 04 ein bemerkenswert futuristischer Nachfolger zu den Händlern. Der CE 04 entwickelt bis zu 41 PS, soll über eine Reichweite von 130 Kilometern verfügen und kostet ab 12.210 Euro.

Der BMW CE 04 Elektroroller
Der BMW CE 04 wirkt wie aus dem Film “Tron” entsprungen. © BMW

Bemerkenswertes tut sich auch im Segment der Kleinkrafträder bis 45 km/h, die ab 16 Jahren mit einem Versicherungskennzeichen (zirka 50 Euro/Jahr) gefahren werden dürfen (und von jedem, der einen Autoführerschein besitzt). Neben den elektrischen 45-km/h-Motorrollern – wie denen etwa von NIU – macht eine kleine Geländemaschine, die in Kalifornien längst Kultstatus genießt, nun auch hierzulande Karriere. Die Sur-Ron Firefly ist eine straßenzugelassene kleine Elektro-Enduro chinesischer Provenienz, die inklusive Akku nur 60 Kilogramm wiegt, wie eine Große aus dem Stand beschleunigt, um dann gesetzeskonform bei 45 km/h abzuregeln. Ein riesiger Spaß in der Stadt und abseits befestigter Straßen; die Praxisreichweite liegt bei rund 60 Kilometern. Die Sur-Ron Firefly ist zu Preisen von rund 4.700 Euro bei immer mehr deutschen Händlern, auch via Ebay, erhältlich.

Ein Elektromotorrad
Auch ein Kleinkraftrad kann richtig Spaß machen: Die nur 65 Kilo leichte Sur-Ron Firefly. © Sur Ron

Fazit

Der Markt an Elektro-Motorrädern ist leider immer noch winzig. Abgesehen von ein paar absoluten Exoten hat man faktisch nur die Wahl zwischen dem futuristisch-coolen Power-Roller CE 04 von BMW, der noch viel stärkeren und teureren Harley-Davidson LiveWire und einem Bike von Zero, die immerhin neun verschiedene Modelle im Programm führen. Aber wie wär´s zum Einstieg in die zweirädrige Elektromobilität mit einem 45-km/h-Kleinkraftrad wie der enorm spaßigen Sur-Ron Firefly? Ideal für die Stadt und nicht gar so teuer.

Porträtfoto

Als Leiter des Ressort Verbrauchertest und Mitglied der Chefredaktion sorgt Jan Bruns zusammen mit dem gesamten Testteam unter anderem dafür, dass Tests, aber auch Erhebungen und Umfragen bei IMTEST auf einer soliden und transparenten Grundlage stehen und stets einheitlich durchgeführt werden. Besonders gerne erschließt er neue Themenfelder und entwickelt dazu neue Testverfahren. Praxisfern ist er aber nicht: Jan Bruns steht auch regelmäßig im IMTEST-Labor und testet selbst von Kaffeemaschinen bis zu Monitoren nahezu alles. Jan Bruns ist studierter Politologe, seit knapp 20 Jahren ausgebildeter Redakteur und hat vor IMTEST über zehn Jahre als Redakteur und Projektleiter bei Computerbild gearbeitet. Er ist am besten erreichbar per eMail.